Ich probiere gerne Neues aus, aber vor diesem Lehr-/Lernszenario hatte ich großen Respekt: Im Rahmen meines Seminars „Neues Land“, das ich gemeinsam mit Nicole Conrad und Frank Wieber durchführe, habe ich erstmals einen Science Slam in einer Veranstaltung mit 160 Studierenden umgesetzt. Herausgekommen ist: Ein grandioser Abend kurz vor Weihnachten, der mir gezeigt hat, welch wunderbare Leistung unsere Studierenden erbringen können und wie viel Spaß das uns allen macht, wenn wir es nur zulassen. Ein kleiner Erfolgsbericht…und am Ende ein wunderbarer Poetry Slam einer Studentinnen-Gruppe frei nach Goethe zum Thema „Teilnehmende Beobachtung“!
Es war mein allererster Science Slam, ich hatte bisher weder live einen erlebt, noch an einem solchen in irgendeiner Form mitgewirkt. Als Nicole und Frank mir das vorschlugen, war ich erst einmal skeptisch. 160 Studierende aus insgesamt 5 Lehrveranstaltungen – das erschien mir wie ein Mammutprojekt. Unser didaktischer Aufbau für diese Lehrveranstaltungen war mehrteilig: Im November hatten die Studierenden die Aufgabe, sich im Rahmen von Referaten erstes Fachwissen anzueignen und dieses in einem wissenschaftlichen Fachkontext zu präsentieren. Für den Slam wurden die Referatsgruppen dann zu größeren Slam-Gruppen zusammengeschlossen (mehr zum didaktischen Konzept hier). Beim Slam ging es dann darum, das erarbeitete Fachwissen zu vermitteln und zwar so, dass es auch für Fachfremde verstehbar ist.
Anzumerken ist: Vier der fünf Lehrveranstaltungen wurden ausschließlich mit Erstsemestern bestritten. Das heißt für uns als Lehrende, dass wir viel Anleitung und Hilfestellung bieten mussten und wollten. Ein absolutes Geschenk war hier das Angebot von Tilman Schlitt: Ein Science Slam Training!
An zwei Abenden durften unser Studierenden mit Tilman anhand von Übungen und Beispielen erlernen, wie man sich auf einer Bühne vor einem großen Publikum präsentiert. Kerninhalte waren:
- Generelle Tipps zu Auftritt und Wirkung anhand von Übungen und Beispielen
- Eigenheiten eines (science) Slams anhand von Übungen und Beispielen
- Optional: Konzeption des eigenen Slambeitrags inklusive Präsentation (mit 1:1 Beratung)
Das Slam-Training war nicht obligatorisch, wurde aber von den Studierenden sehr gut angenommen! Und es scheint sich gelohnt zu haben:
Am 17.12. fand dann der Slam statt – mit anschließender Weihnachtsfeier im Hörsaal. Ich habe lang nicht mehr in drei Stunden so viel gelacht, so tolle Vorträge gesehen und spüren dürfen, wie intensiv sich Studierende auf eine Aufgabe vorbereiten. Folgende Kriterien haben wir für die Benotung herangezogen: Korrekte Inhalte, verständliche Vermittlung auch für Fachfremde, Transferleistung, Originalität, Spaßfaktor. Wir konnten ausnahmslos sehr gute Noten vergeben. Die Autorinnen folgender Science Slam Poesie haben es besonders verdient:
Aus dem Leben eines Forschers
von Julia Bakus, Hannah-Marie Böcker, Anne Herschbach, Arlette Hubschneider, Madlaina Kaupp, Kerstin Koch, Lea Kunkat, Jessica Pätz & Isabell Sharvadze
Teilnehmende Beobachtung, was ist das schon?
Kann ich einfach Leute beobachten, so ohne Plan?
Wie fängt man das am besten an? […]
Ein indigenes Volk in Afrika muss es schon sein,
Wenn ich das Leben dort erkunden
könnte, dann hätte ich des Pudels Kern gefunden,
und wer weiß, was sich sonst noch versteckt in dem Land
der untergehenden Sonne.
Aber so ganz ohne
Vorbereitungen?
Sicher ist: es kommen Sachen mit. Viele.
Wenn ich den großzügigen Weißen spiele,
natürlich Gastgeschenke,
Man will sich ja beliebt machen, und ich denke,
bei Leuten, bei denen man länger wohnt, ist das auch sinnvoll.
Am besten sollen die gar nicht mitbekommen, wie ich Beobachtungen mache,
ein Wörterbuch in der Landessprache wär da sicher von Vorteil.
So zum kommunizieren.
Doch eine Sache, die mir Sorgen macht,
soll ich es probieren, mit Handschrift das Geschehen festzuhalten, oder lieber festhalten an Anhaltendem? An haltenden, mitreißenden Momenten, für die Erinnerung? Denn Realität anhalten geht ja auch nicht, oder mich dazu anhalten meine Kamera draufzuhalten, aber was werden die davon halten?
So steh ich da, ich armer Tor und bin so schlau, als wie zuvor.
Eigentlich wäre das doch so einfach, wenn es nicht so kompliziert wär.
Eigentlich hab ich einen Einfall, wenn ich dort nur akzeptiert wäre.
Jetzt stehe ich hier im freien Feld
In einer mir ganz fremden Welt sollte ich vielleicht erst mal schauen,
was so passiert,
wenn man direkt losfotografiert, bringt das ja auch nichts.
Ein bisschen komisch komme ich mir schon vor,
Die Riten, Mythen, Sitten, Speisen, Sprachen, Menschen, Pflanzen.
So im Großen Ganzen, alles fremd. Bis jetzt.
Und wo fange ich an?
Meine ganzen Sinne muss ich ausfahren aber trotzdem nicht auffallen,
wie soll ich mir das vorstellen,
wer mit wem und wie, wie nicht,
Und wo, ja wo steh ich, dann da?
Schon wieder, ich armer Tor steh ich hier und bin so schlau, als wie zuvor.
Eigentlich wäre das doch so einfach, wenn es nicht so kompliziert wär.
Eigentlich hab ich einen Einfall, wenn ich hier nur akzeptiert wäre.
„Durch Abstandsmangel wird bedingt,
dass mancher Funke überspringt“*, hab ich mal irgendwo gelesen,
also, worauf warten?
Going native sagt man auch dazu.
Vor mir stehen Menschen in bunter Kleidung
und ich weiß nicht, ob ich den Sprung
wagen sollte.
Doch mit den Stunden schwinden die Grenzen
und überwunden sind die Unsicherheiten, die man am Anfang so hat.
Was fest steht: Ich bin ein Forscher
und subjektives Denken schränkt objektives Handeln ein:
Bei allen Forschungsinteressen darf ich ja auch nicht vergessen, dass
ich nicht für immer bleibe.
Ich steh jetzt da, ich armer Tor und bin so schlau, als wie zuvor.
Eigentlich wäre das doch so einfach, wenn es nicht so kompliziert wär.
Eigentlich hab ich einen Einfall, wenn ich hier nur akzeptiert wäre. […]
Jetzt stehe ich am Ende meiner Forschung
das Tagebuch voller Beschreibungen,
die Fotos, die Erinnerungen schreiben,
schreiben über das Leben der Leute dort,
sind fertig.
Teilnehmende Beobachtung, was war das schon?
Ich hatte ja eigentlich einen Plan.
Ich steh hier wieder als armer Tor und bin wahrscheinlich genauso schlau als wie zuvor,
Aber eigentlich war das doch so einfach, weil es gar nicht kompliziert war,
Eigentlich war es ein guter Einfall, weil es gut inszeniert war,
oder?
Der Science Slam war anstrengend für alle, ja, aber das war es wert und ich kann allen empfehlen, dieses Szenario ebenfalls auszuprobieren. Es lohnt sich!
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*Erich Limpach