Die Universitätsbibliothek als Repräsentation der Wissenschaft*
Mein Promotionsprojekt, durchgeführt in den Jahren 2007 – 2013, untersucht sozial-materiell-räumliche Strukturen in Universitätsbibliotheken mit dem Fokus auf deren Funktion als Wissensräume. Im Rahmen einer vergleichenden Fallstudie beantworte ich drei Forschungsfragen:
♦ Inwiefern bedingen sich der materielle und der soziale Raum wechselseitig?
♦ Wie wird Wissen in Universitätsbibliotheken sozial und materiell operationalisiert?
♦ Welche sakralen/rituellen Strukturen wirken (noch) heute auf sozialer und materieller Ebene in Universitätsbibliotheken?
Die Antworten auf diese Forschungsfragen ermöglichen wiederum Rückschlüssen auf Inklusions- und Exklusionsprozesse in Universitätsbibliotheken.

In meiner Dissertationsschrift werden zunächst die zentralen Begriffe Raum, Wissen und Wissensraum definiert, wobei mir besonders wichtig ist zu zeigen, dass Wissen und Raum strukturell vergleichbar aufgebaut sind. Besonderes Augenmerk wird auch auf die Definition des Begriffs Wissensraum gelegt, der vom Begriff der Informationsarchitektur (welcher vor allem im Webdesign bekannt ist) abgegrenzt wird. An die Definitionen anschließend entwickle ich – basierend auf dem aktuellen wissenschaftlichen Diskurs der Raum- und Architektursoziologie – ein interdisziplinäres, theorietisch fundiertes sowie empirisch einsetzbares Raumkonzept. Darauf aufbauend wird das Forschungsdesign der vergleichenden Fallstudie vorgestellt, welches methoden-, daten- und perspektiventriangulativ angelegt ist. Im Zentrum der Fallstudie stehen Universitätsbibliotheken von Konstanz und Oxford, weitere Bibliotheken wurden im Rahmen von kleineren Analysen ergänzt.
Im Ergebnisteil wird dargestellt, inwiefern der Wissensraum Universitätsbibliothek durch das Konzept der Informationsarchitektur geprägt ist und inwiefern sowohl materiell-räumliche als auch sozial-räumliche Aspekte zur Konstitution des Raumes beitragen. Das Zurechtfinden in der „Ordnung der Bücher“ ist zum einen bedingt durch das kulturelle Kapital und die Bibliothekssozialisation der NutzerInnen, zum anderen durch das Orientierungs- und Navigationsangebot in der Bibliothek sowie das Fungieren der Architektur als Leitmedium. Es wird herausgearbeitet, dass das Arbeiten in der Universitätsbibliothek einem Integrationsprozess gleicht, in dessen Verlauf die Bibliothek inhaltlich als auch sozial-räumlich-materiell von den NutzerInnen erschlossen und angeeignet wird. Das Überwinden der Verwirrung und Desorientierung in der Bibliothek ist ein grundlegendes Prinzip, welches das Hineinwachsen in die Scientific Community repräsentiert.
Darüber hinaus wird gezeigt, dass sich kulturelle Schichtungen und symbolische Aufladungen einer Bibliothek auf die Art und Gestalt(ung) der sozial-räumlichen und materiell-räumlichen Schließungsmechanismen der Universitätsbibliothek auswirken. Das Materielle und das Soziale bedingen sich hier wechselseitig und sind ineinander verzahnt. Bibliotheken stellen bezogen auf ihre NutzerInnen-Gruppen häufig geschlossene Gesellschaften dar, nicht nur, weil der Zugang reglementiert ist, sondern auch, weil ein bestimmtes Wissen über die Symbolik der Räume vorhanden sein muss, um diese ganzheitlich erfassen zu können. Bibliotheksräume fungiert in vielschichtiger Weise für Eingeweihte als integrierendes Element.
Sakrale und rituelle Bibliotheksstrukturen erfüllen sowohl integrative als auch distinktive Funktionen, sie inkludieren und exkludieren, verbinden und trennen gleichermaßen. Passagerituale ermöglichen eine Annäherung an das Zentrum der Scientific Community, welche durch die Bibliothek repräsentiert wird. Überdies machen Tabus wie Schweige- und Fastengebote soziale Grenzen zwischen Eingeweihten und Außenstehenden sowie materielle Grenzen zwischen Bibliotheksorten und anderen Bereichen deutlich. Nicht nur, aber in besonderer Weise im Falle umgewidmeter Kirchengebäude, markieren sie die Grenze zwischen sakralem und profanem Raum.
Die Universitätsbibliothek stellt, so meine ich, eine Ordnung des Wissens dar und zugleich ein Labyrinth. Sie zwingt Forschende, mit jedem neuen Studien- oder Forschungsprojekt das Wissen neu zu ordnen und neue Rätsel aufzudecken. Sie ist eine Passage und ein Ort der Einschreibung in die Gemeinschaft der Forschenden, ein Ort der Askese und der geschlossenen Gesellschaft. Im Sinne eines pars pro toto repräsentiert die Bibliothek die Universität und die Wissenschaft.
Die Arbeit ist im Oktober 2015 im UVK erschienen:
Eva-Christina Edinger (2015): Wissensraum, Labyrinth, symbolischer Ort. Die Universitätsbibliothek als Sinnbild der Wissenschaft, Konstanz: UVK.
*Diese Zusammenfassung ist eine leicht abgeänderte Version der Zusammenfassung meiner Dissertationsschrift, eingereicht am 05.11.2013 an der Universität Konstanz.