„Bücher sind wie Solitäre. Sie präsentieren sich gern der Öffentlichkeit und verschweigen dabei die Zusammenhänge, aus denen sie entstanden sind. Dabei sind sie doch in lange Gedankengänge eingebunden, die dem Leser vorzuenthalten schade wäre, in eine Verknüfpung von Ideen (einige Brocken davon werden uns manchmal noch mitgeliefert) und in eine kleine Geschichte, in Peripetien methodologischer Art (von denen sehr viel seltener erzählt wird).
Jean-Claude Kaufmann [1]
„Und wir wissen alle, dass Simultanität für Worte ein großes Problem ist.
Sie kommen der Reihe nach, immer nur der Reihe nach […]“
Siri Hustvedt [2]
Hinterher ist man immer klüger. Das trifft auch auf das Verfassen wissenschaftlicher (Qualifikations-) Arbeiten zu. Nach Jahren voller Lektüre, Feldforschung und Ergebnisdiskussionen habe auch ich es geschafft, gut 200 Seiten zusammenhängenden Text – aus eigener Feder, versteht sich – zu erstellen. Leid und Leidenschaft lagen oft ganz nah beieinander. Die folgenden Zeilen schildern gleichermaßen Tücken, Erfolgsrezepte und – mit Kaufmann gesprochen – die arbeitsorganisatorischen Zusammenhänge, aus welchen meine Arbeit entstanden ist. Zur besseren Übersichtlichkeit ist der Artikel in einzelne thematische Abschnitte mit eigenen Überschriften gegliedert.
Was nun folgt, ist wahrlich keine neue Erkenntnis, aber es lohnt sich, immer wieder wiederholt zu werden: „Etwas vom ersten, was man am Anfang der Arbeit machen sollte, ist das Felstlegen des Titels, das Schreiben der Einleitung und des Inhaltsverzeichnisses“. [3] Neben diesen drei Punkten werden noch einige andere Aspekte angesprochen.
Der Titel
Jede Arbeit braucht einen Arbeitstitel, je früher, desto besser. Meist sind Arbeitstitel bereits bei der Anmeldung von Qualifikationsarbeiten oder Publikationen anzugeben. Der Arbeitstitel ist, wie die kommentierte Gliederung, ein Leuchtturm. Er unterstützt bei der Orientierung, schreibt jedoch nicht den exakten Weg vor, über den die Forschungsreise verlaufen wird. Er lässt Raum für neue Entdeckungen. Somit muss der Arbeitstitel einerseits spezifisch, andererseits offen sein, um seine Aufgabe vollumfänglich zu erfüllen.
Die kommentierte Gliederung
Die Gliederung ist das zentrale Instrument – nicht nur im Schreib- sondern im gesamten Forschungsprozess. Kein Wunder also, dass Jean-Claude Kaufmann die Gliederung als Forschungsinstrument bezeichnet.[4] Der erste Gliederungsschritt ist schnell gemacht, jede Arbeit umfasst schließlich eine Einleitung, einen Hauptteil und einen Schluss. Doch dann wird es schwieriger: Wie soll der Hauptteil aufgebaut werden? Welche Unterkaptiel soll er umfassen, welche Aussagen sollen diese enthalten? Welche Kapitel bereiten wie auf die nachfolgenden Kapitel vor? Ein wichtiger Arbeitsschritt beim Erstellen der kommentierten Gliederung ist es, eine ungefähre Vorstellung vom Umfang der Arbeit zu haben (z.B. in Anzahl zu schreibender Seiten). Aus dem Gesamtumfang lässt sich dann ableiten, wie groß einzelne Teile der Arbeit sein müssen, so dass deren Gewichtung innerhalb der Arbeit stimmig ist. Eine kommentierte Gliederung sollte also aussagen, wie groß die Arbeit insgesamt werden soll, aus welchen Teilen sie besteht, welche Inhalte und große Argumentationslinien enthalten sein sollen und wie diese zueinander umfangmässig gewichtet sind. Aus meiner Erfahrung empfehle ich, eine solche Gliederung im Umfang von 5-10 Seiten zu erstellen.
Die Gliederung ist natürlich nicht auf immer und ewig festgezurrt, sie verändert sich stetig mit dem Verlauf der Arbeit, Kapitel werden umgestellt, hinzugefügt, geteilt oder auch verworfen. Aber: Die Gliederung sorgt dafür, dass der Blick aufs Ganze nicht verloren geht.
Ich empfehle auch, diese Gliederung in einem externen Dokument zu pflegen. Ich habe mich dazu entschieden, meine Gliederung sowohl als Textdokument als auch in Form eines Mindmaps zu gestalten und mit zusätzlichen Informationen auszustatten, z.B. mit dem Bearbeitungsstand, mit Informationen zur Ablage des Kapitels, mit Querverweisen uvm. Das hat mir ermöglicht, bei Bedarf einfach einmal Kapitel hin- und herzuschieben, anderswo einzugliedern und festzustellen, ob die neue Anordnung besser passt. Und zugleich hatte ich meinen Projekt- und Zeitplan im Blick.
Die Einleitung
Ich höre ihn immer noch, den Satz: „Die Einleitung schreiben Sie ganz am Schluss, wenn die Arbeit fertig ist.“ Das leuchtet ein, weil man erst am Schluss wenn alles geschrieben ist, weiß, was man einleiten möchte. Und doch stimmt die Aussage nicht ganz. Die Einleitung ist einer der Texte, die man zuallererst schreiben sollte. Reagiert man auf einen CfP, wird man gezwungen, eine Einleitung in Form eines Abstracts zu schreiben wie beispielsweise: „Der geplante Buchbeitrag spannt den Bogen von der a priori- Definition der Zielgruppe über mehrere empirische Phasen der Untersuchung einer bestehenden Seniorenresidenz bis zur Konzeption und Planung von Neu- und Umgestaltungen.“[5] Nichts anderes wird im Falle jeder Art schriftlicher Arbeit getan: Man fasst zusammen, welche Themen und Fragestellungen bearbeitet werden sollen und wie die Arbeit aufgebaut ist. Und mit diesem Aufbau sind wir schon wieder bei der kommentierten Gliederung!
Der Zeitplan des Schreibens
Bedingt durch meine fachfremde Berufstätigkeit in Vollzeit stand mir für das Schreiben immer nur sehr begrenzt Zeit zur Verfügung, z.B. in Form einer Ferienwoche oder eines verlängerten Wochenendes. Somit musste ich diese Schreibphasen sehr effizient nutzen. Das ist mir gelungen durch erstens eine gute Vorbereitung der Schreibphase und zweitens durch ein ganz klares Arbeitsprogramm. Hatte ich beispielsweise fünf Schreibtage am Stück reserviert, mussten im Vorfeld bestimmte Vorbereitungen abgeschlossen sein: Es musste feststehen, welche Abschnitte in welchem Umfang an welchem der Tage zu schreiben waren. Da für mich ca. 2 Seiten pro Tag realistisch sind, konnte ich die entsprechenden Unterkapitel festlegen. Und die entsprechenden Unterlagen mussten bereitgelegt werden: Abschnitt der kommentierten Gliederung, welcher den Inhalt und das Ziel der Kapitel vorgibt, Literatur, die verwendet werden soll, sowie Notizen und empirische Materialien (Interviewausschnitte, Bilder etc.), die in diesem Kapitel vorgesehen waren. Und dann musste „nur“ noch geschrieben werden.
Die Schreibgruppe
Schreiben ist ein einsames Geschäft, man muss es schließlich alleine machen – auch wenn man gemeinsame Publikationen verfasst, ist man doch zumeist allein für einen bestimmten Textabschnitt zuständig. Und doch kann Schreiben auch in der Gruppe organisiert werden. An der Uni Konstanz war ich Mitglied und Co-Leiterin einer Promovierendenschreibgruppe und seit Oktober 2013 baue ich solch eine Gruppe auch an der PH FHNW auf. Eine Promovierendenschreibgruppe verfolgt mehrere Ziele: Es geht darum,eigene Texte von anderen – im Idealfall einer interdisziplinären Gruppe – streng durchleuchten zu lassen, nach Stringenz, Verständlichkeit und nicht zuletzt grammatikalischer und orthographischer Korrektheit. Es geht aber auch darum, an der Besprechung der Texte anderer das wissenschaftliche Schreiben zu reflektieren, typische Fehler zu erkennen und diese dann im eigenen Schreiben schneller zu erkennen und zu vermeiden. Und nicht zuletzt schafft eine Schreibgruppe auch den nötigen Druck, regelmäßig Textabschnitte zur gemeinsamen Besprechung fertigzustellen.
Das Übersichtblatt zu Formatierungs- und Formulierungsvorgaben und häufigen Fehlern (style sheet)
Klingt übertrieben, ist aber zentral: Das Vorlagenblatt oder style sheet. Dieses Dokument hilft, den Überblick über die eigenen Entscheidungen in Bezug auf Formatierungen und Formulierungen zu behalten und nicht immer quer durch die Arbeit nach Textstellen suchen zu müssen, an welchen man bereits ähnliche Entscheidungen getroffen hatte. DasVorlagenblatt füllt sich im Laufe des Schreibprozesses und enthält unter anderem Informationen zu folgenden Punkten: Was wird kursiv geschrieben, was nicht? Wie werden Zitate (Literatur, empirisches Material) formatiert, wie werden bibliographische Angaben formatiert? Aber auch sprachliche Informationen kann das Blatt umfassen, ich beispielsweise musste festlegen (und mich auch mit Blick auf das Blatt an diese Festlegung erinnern), ob es „sozialer Schließmechanismus“ oder „ sozialer Schließungsmechanismus“ heißt. Ebenso kann das Vorlagenblatt eine Liste der typischen Schreibfehler umfassen, so dass es für Korrekturdurchläufe als Vorlage genutzt werden kann. In meinem Falle würde dort der Merksatz stehen: „Es ist eigentlich offensichtlich, dass ich genau diese Füllwörter und –formulierungen meiden sollte“. 😉
Zwei Werke und einen Blogartikel möchte ich zum Abschluss allen, die (erstmals) einen wissenschaftlichen Text zu verfassen haben, ans Herz legen:
- Eco, Umberto, 2010: Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. Wien: facultas wuv Universitätsverlag.
- Kaufmann, Jean-Claude, 1999: Das verstehende Interview – Theorie und Praxis. Konstanz: UVK Universitätsverlag Konstanz.
- Blogartikel zur Erfahrung im Diss-Schreibprozess von Lars Frers (einem Kollegen, den ich sehr schätze und von dessen Erfahrungen ich mir auch das eine oder andere abgekuckt habe)
[1] Kaufmann, Jean-Claude, 2004: Die Erfindung des Ich. Eine Theorie der Identität. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft. S. 7.
[2] Siri Hustvedt, 2013: Der Sommer ohne Männer. Reinbeck bei Hamburg: Rowolth Verlag, Sonderausgabe. S. 218, Hervorhebung im Original.
[3] Eco, Umberto, 2010: Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. Wien: facultas wuv Universitätsverlag. S. 140.
[4] Kaufmann, Jean-Claude, 1999: Das verstehende Interview – Theorie und Praxis. Konstanz: UVK Universitätsverlag Konstanz. S. 59.
[5] Auszug aus dem Abstract zum CfP der Planungsrundschau, siehe Publikationen.
Und wer von all den Tipps noch nicht genug hat: http://t3n.de/news/schneller-schreiben-diesen-7-554790/