Wie einige sicher wissen, war ich letzte Woche auf dem Jubiläumskongress der DGS (Deutsche Gesellschaft für Soziologie). Viel Zeit habe ich in Veranstaltungen rund um Raum- und Stadtsoziologie verbracht. Am meisten beeindruckt hat mich jedoch ein Vortrag von Jean-Claude Kaufmann zu „Identität“.
Jean-Claude Kaufmann sprach in seinem Vortrag ein Thema an, das mich seit einigen Wochen intensiv beschäftigt: Identität als Ergebnis einer ständigen Selbstreflexion und der damit verbundenen Gefahr der Handlungsblockade.
Was für JC Kaufmann eher ein Nebengleis seiner Argumentation ist, ist für mich ein zentrales Thema. Kaufmann stellt in seinem Vortrag fest, dass der Begriff der Identität inflationär gebraucht wird und Identität nicht stabil fixiert ist, sondern vielmehr einem „identitätsbildenden Prozess“ entspricht. Bezieht man Kaufmanns Argumentation auf Prozesse der Karriereplanung, des Coachings und der Präsentation der eigenen Person in Bewerbungsverfahren, dann werden uns die Ausmaße erst bewusst: Hinter allen beruflichen Standortfindungs- und Karriereplanungsprozessen steht ein Mechanismus der Sinnproduktion. Multiple Möglichkeiten der Karrierewege zwingen uns, Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen wiederum werden von uns im nächsten Bewerbungsverfahren zu einem „roten Faden“ gesponnen, der unsere Individualität bei gleichzeitiger Passung zur ausgeschriebenen Stelle belegen soll. Darüber hinaus „präsentieren“ wir Versionen unserer Identität auf einer Vielzahl von Plattformen: Virtuelle Netzwerke wie XING, Facebook, die eigene Website, eine Institutionen übergreifende Arbeitsgemeinschaft – all diese Räume führen dazu, dass wir uns immer wieder neu entwerfen. Wir stehen ständig im Spannungsfeld von extrinsischer Informationsflut und intrinsischer Reflexivitätsergebnisse, die wir aufeinander abstimmen (sollen). Wir definieren unseren Standort und unsere Identität passgenau zu den von außen auf uns eindrängenden Anforderungen. Hier schließt sich der Kreis zu Kaufmanns Vortrag: Die ständige Reflexivität führt zu Handlungsunfähigkeit. Während Zugehörigkeit laut Kaufmann früher eher gegeben war, ist sie heute eine einschreibende Praxis. Wir wählen für eine bestimmte Zeit Zugehörigkeiten aus, zu Vereinen, Arbeitsverbänden, Freundeskreisen… (Gated Communities stellen aus meiner Sicht ein sehr gutes und auch extremes Beispiel dafür dar).
Bei „Die Musen – ein Erfolgsteam“ diskutieren wir seit einiger Zeit sowohl die Prozesse der Karriereplanung, als auch bestehende Optionen, aus diesem Kreislauf der Reflexivität und Anpassung auszubrechen, eigene Ziele handelnd zu verfolgen und das eigene Lebensmodell umzusetzen. Nach JC Kaufmanns Vortrag sehe ich heute noch mehr die Herausforderung darin, sich nicht Schlangenmensch gleich zu verbiegen und die subjektive Wahrnehmung externen Erwartungen anzupassen. Vielmehr muss es darum gehen, dass wir uns und andere ganzheitlich annehmen, mit der Vielfältigkeit der Erfahrungen und Fähigkeiten, um diese Vielfältigkeit auch nutzen zu können. Diese Akzeptanz der Vielfältigkeit würde zugleich einen Teil der Reflexivität überflüssig machen, den nämlich, der auf die Reduktion der eigenen Persönlichkeit hin zu Passgenauigkeit abzielt.
Kommentare und Hinweise dazu, wie das gelingen kann, sind jederzeit erwünscht!
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