Beyond Luhmanns Zettelkasten – Feldnotizen aufzeichnen und verwalten

Notizzettel UB Konstanz

Im Rahmen meines Promotionsprojektes habe ich mich immer wieder mit Gütekriterien qualitativer Forschung beschäftigt – manchmal auf theoretischer Ebene, manchmal ganz pragmatisch.[1] Das zentrale Gütekriterium qualitativer Sozialforschung ist die Dokumentation des Forschungsprozesses: Was wurde wann, wie, wo mit wem und warum gemacht? Das Aufzeichnen und Verwalten von Feldnotizen und Feldtagebüchern bleibt dabei häufig unerwähnt. Und weil manche Dinge auch in einer Dissertation nicht Platz finden, möchte ich hier in diesen Bereich meiner Arbeit Einblicke ermöglichen. 

Je nach Vorgehen beim Erfassen und Verwalten von Feldnotizen nehmen diese Daten unterschiedliche Struktur an. Zum Beispiel nutzte Lars Frers im Feld bei Videoaufnahmen in Bahnhöfen und Fährterminals das Mikrofon seiner Kamera als Diktiergerät. Somit erhält er seine Feldnotizen nicht als Text, sondern als vertonte Kommentare zum gedrehten Film.[2] Ich habe für meine Dissertation, je nach Bibliothek und deren Nutzungsbestimmungen, mit dem guten alten Notizbuch oder mit dem Laptop gearbeitet. Und da hat sich schnell einiges an Material angehäuft!  Im Promotionsprozess kommt man, spätestens bei Verschriften der Arbeit, zwangsläufig an den Punkt, an dem die Notizen digital erfasst werden müssen. Also habe ich, von Beginn an, wo immer es ging, Textdokumente erstellt. Die Notizen wurden so sukzessiv und linear abgelegt, nicht inhaltlich, sondern vielmehr chronologisch geordnet. Dies führte dazu, dass ich die Notizen hinterher aufwändig ordnen, sortieren und verwalten musste. Niklas Luhmann hat das mit seinem Zettelkasten natürlich viel geschickter gemacht, aber der muss auch von Hand verwaltet werden … Schnell war klar: Eine IT-Lösung muss her!

[auf YouTube gab es mal ein Video zu Luhmanns Zettelkasten, dieses ist jedoch nicht mehr verfügbar, deshalb hier nicht mehr verlinkt, EE, 18.05.2015]

Digitale Systeme bieten unschlagbare Vorteile, wie die Vergabe von Schlagworten an einzelne Aufzeichnungssequenzen, sortieren nach Schlagworten, Suche nach Inhalten usw.

In der Mailingliste der Society of Urban National and Transnational/Global Anthropology (SUNTA) wurde im April 2010 die Diskussion geführt, welche Software für die Digitalisierung und Verwaltung von Feldnotizen am geeignetsten sein könnte. Auch hier wurden einfache Textdokumente als Möglichkeit genannt, darüber hinaus aber auch andere Softwareprodukte vorgeschlagen. Zwei Produkte, darunter eines der von SUNTA-Zugehörigen vorgeschlagenen, habe ich getestet: Das digitale Pendent zu Luhmanns Zettelkasten, den Zettelkasten von Daniel Luebke und OneNote von Microsoft Office.

Der digitale Zettelkasten ist jedoch aus meiner Erfahrung nicht effektiv genug, da die ‚Zettelwirtschaft‘ und die damit verbundene Fragmentierung von einzelnen Beobachtungsphasen bestehen bleibt. Darüber hinaus werden die Zettel entsprechend ihrer Erstellung chronologisch erfasst und nummeriert. Ein zu erwähnender Faktor ist jedoch die mehrdimensionale Ordnung als Datenbank. Es können Tags vergeben werden und unterschiedliche Kombinationen als Reihung abgespeichert werden. Darüber hinaus können einzelne Zettel miteinander verlinkt werden, wodurch ein multidimensionales Netz entsteht.

Als zweites testete ich OneNote. Hier ist die direkt Einordnung der Notizen in unterschiedliche Kategorien möglich. Es können mehrere Textboxen parallel innerhalb einer Notiz erfasst werden und an jeder beliebigen Stelle der Seite mit dem Schreiben begonnen werden, als ob man unzählige, endlos große Notizseiten zur Verfügung hätte. Formal entsprechen die Seiten normalen Textdokumenten, es lässt sich größerer Fließtext erstellen und dieser als Word-Dokument exportieren. Bilder und Tondateien lassen sich ebenfalls in die Notizen einbinden. Die Notizen können mit Kategorien, Unterkategorien und Tags sortiert werden. Als besonders wertvoll und effizient empfinde ich selbst den Export von einzelnen Textstellen, sortiert nach Tags.  Ich nutze die Tags vor allem analog zu Codes beim Auswerten von Beobachtungsnotizen und Interviews und habe so die Möglichkeit, mir in einzelnen Abschnitten des digitalen Notizbuches die Textstellen heraussuchen zu lassen, die mit dem gewünschten Code getaggt sind. Anschließend exportiere ich diese Sammlung von Textstellen und erhalte so ein Exzerpt des jeweiligen Codes. Das ist eine riesengroße Arbeitserleichterung.

Inzwischen nutze ich OneNote auch für andere Zwecke, aber für Feldnotizen ist es einfach unentbehrlich.


[1] Zu den Gütekriterien empirischer Sozialforschung hat vor allem Ines Steinke publiziert: Steinke, Ines. 1999. Kriterien qualitativer Forschung. Ansätze zur Bewertung qualitativ-empirischer Sozialforschung. Weinheim: Juventa, —. 2000. „Geltung und Güte. Bewertungskriterien für qualitative Forschung.“ Pp. 201-236 in Die Fallrekonstruktion. Sonnverstehen in der sozialwissenschaftlichen Forschung, edited by K. Kraimer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, —. 2009. „Gütekriterien qualitativer Forschung.“ Pp. 319-331 in Qualitative Forschung. Ein Handbuch, edited by U. Flick, E. v. Kardorff, and I. Steinke. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

[2] Frers, Lars. 2007. Einhüllende Materialitäten. Eine Phänomenologie des Wahrnehmens und Handelns an Bahnhöfen und Fährterminals, Edited by G. Klein, M. Löw, and M. Meuser. Bielefeld: transcript. S. 27.

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