Hat Zürich auch eine Eigenlogik?

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Lagerstrasse Zürich, 16.04.2015

Wie schon in einem meiner letzten Posts möchte ich mich erneut mit dem Thema der Eigenlogik befassen, ausgehend von „Städte und ihre Eigenlogik. Ein Handbuch für Stadtplanung und Stadtentwicklung“ von Martina Löw und Georgios Terizakis (Hrsg.).[1] Diesmal geht es mir darum, der Eigenlogik von Zürich auf die Spur zu kommen. Was ist Zürich eigentlich für eine Stadt? Wissensstadt und Hochschulstandort, Bankenmetropole, Spielplatz der Alternativen und des Urban Gardening?

Zürich ist zunächst einmal geprägt durch seine Eigenschaften als Finanzzentrum, aber auch durch die damit verbundene IT-Branche. Banken und IT passen perfekt zur Schweiz, alles läuft wie ein Schweizer Uhrwerk, akkurat und zeitlich punktgenau. Wen verwundert es da, dass die Schweiz das Land mit der höchsten „life pace“ (Robert Levine) ist und Zürich sicherlich die schnellste Stadt überhaupt? In Zürich ist der öffentliche Verkehr zuverlässig und pünktlich (meistens, abgesehen von Stellwerksstörungen, Kollisionen o.ä.), die Zeitpläne der BürgerInnen sind eng gestrickt, man hat es eigentlich immer eilig. Und ZürcherInnen haben ein hohes Qualitätsbewusstsein, verbunden mit hohen Ansprüchen an sich selbst und andere.

Aber es gibt auch noch das andere, das alternative Zürich. Hier fahren die Menschen mit dem Velo durch die Stadt, bauen auf ihrem Balkon Gemüse an, lieben handgemachte Cupcakes und veganes Bio-Glace und bevorzugen dennoch ein urbanes Umfeld. In diesem alternativen Milieu gilt ein etwas anderes Zeitmodell: Man arbeitet Teilzeit oder noch besser mobil bzw. im Homeoffice – wo immer das auch gerade ist. Trotzdem gilt: Die Agenda ist vollgepackt und der Qualitätsanspruch an sich und die anderen ist hoch!

Wie kommt es zu dieser Mischung? Ich glaube, dass es an der Geschichte Zürichs liegt und an der ganz besonderen landschaftlichen Gegebenheit. Welche Stadt ausser Zürich hat einerseits den Anspruch, eine kleine Metropole zu sein und wirbt andererseits auf seinem Flughafen mit der Alpen-Idylle, die die Stadt umgibt? Wo finden sich im Stadtgebiet so viele Bauernhöfe (Biohöfe, Hofläden etc.) und wo kann man im Stadtgebiet so wunderbar stundenlang durch den Wald wandern, auf verschlungenen, waldigen Pfaden sogar bis fast vors Opernhaus? Diese ganz besondere Verflechtung von Urbanität und ruralem Umland ist sicherlich zu grossen Teilen den Eingemeindungen (1893, 1934) geschuldet. Viele der ehemaligen Gemeinden weisen heute noch Dorfstrukturen mit einem Dorfplatz, einer daran angrenzenden Kirche und eben den dörflichen Landwirtschaftsbetrieben auf. Gemüseanbau passt zu Zürichs Stadtquartieren, weil es ihn eigentlich immer gab. Und man ist stolz auf die Nähe zur Natur. Darüber hinaus verfügt Zürich über ehemalige Industrie-Areale (Tony-Areal, Oerlikon etc.), deren Abbau nicht nur Potential für eine neue Stadtentwicklung bieten und eine Verschiebung vom 2. zum 3. Wirtschaftssektor befördern, sondern dafür auch spannende materielle Umgebungen bereitstellen wie etwa alte Lagerhallen, Produktionshallen etc. [2]. Diese bieten z.B. der Kreativ-Branche oder auch kulinarischen Betrieben neue Gestaltungssettings.

All diese Veränderungen und neuen Gestaltungen prägen die Muster des Wahrnehmungshandelns der Zürcher StädterInnen. Neue Kneipen und Geschäfte geben sich urban, alternativ, aber eben auch schick und durchgestylt. Neulich auf einem Workshop für StadtplanerInnen fiel der Satz: „Bei Frau Gerolds Garten [urban gardening Biergarten in Zürich, Anmerk. EE] muss man sich jetzt auch schon überlegen, ob man ohne ein Sakko noch hingehen kann.“ Mir ist die Kombination von grün, bio, alternativ und schick besonders um die Europaallee und in der Kalkbreite, zwei neuen Quartieren, aufgefallen.

Was bedeutet das nun? Klar ist, dass die Eigenlogik einer Stadt in der Stadtentwicklung berücksichtigt werden muss, was für Frankfurt passt, passt noch lange nicht für Zürich. Um die Eigenlogik einer Stadt zu erfassen, bedarf es vieler Beteiligter und einer gemeinsamen Sprache bzw. erst einmal dem Commitment, sich überhaupt verstehen zu wollen. Beispiel Velo-Routen in Zürich: Die Velo-FahrerInnen in Zürich sind eine sehr heterogene Gruppe. Da gibt es die grünen, urbanen, auf Nachhaltigkeit bedachten Eltern, die ihre Kinder mit dem Velo zum Kindergarten bringen. Sicherheit spielt hier eine grosse Rolle. Und da gibt es auch diejenigen, die zur Arbeit fahren, es eilig haben, die nicht nur durchgängige Routen, sondern vor allem schnelle Routen (ja, auch Velo-FahrerInnen haben einen engen Zeitplan) benötigen. Es liessen sich weitere unzählige use cases und Rollen definieren, die genannten beiden habe ich ausgewählt, weil sie für mich so typisch Zürich sind. Und ich habe sie ausgewählt, weil am 14. Juni über die Velo-Initiative abgestimmt wurde und die beiden Vorschläge für mich, wie bei vielen Abstimmungen, erst der Anfang sind. Für die anstehenden Investitionen in die Velo-Infrastruktur von Zürich hoffe ich, dass dabei die Eigenlogik der Stadt und ihrer Bevölkerung berücksichtigt werden.

[1] Löw, Martina und Terizakis, Georgios (Hg.), 2011: Städte und ihre Eigenlogik. Ein Handbuch für Stadtplanung und Stadtentwicklung. Frankfurt: Campus Verlag.

[2] vgl. auch Müller, Anna-Lisa, 2013: Green Creative City. Konstanz: UVK. z.B. S. 20.

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2 Gedanken zu “Hat Zürich auch eine Eigenlogik?

  1. Dazu passt gut ein Artikel im Tagesanzeiger (14.08.2015), der thematisiert, dass in diesen neuen Quartieren der Wohnraum zu kurz kam. Die Entwicklung geht nun dahin, dass die Quartierstrassen ab dem Abend leer und unwirtlich sind, da niemand mehr da ist – alle haben ihr Büro verlassen und fahren nach Hause. Vermutlich wurde auch der Aufenthaltsqualität der Orte zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

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