
Am 9. Mai hatte ich die Möglichkeit, einer Arbeitsgruppe der Universitätsbibliothek Konstanz Ergebnisse meines Promotionsprojektes vorzustellen. Diese Arbeitsgruppe befasst sich mit dem aktuell stattfindenden Umbau der Bibliothek. Das war natürlich für mich die Gelegenheit, mit ExpertInnen sowohl über meine Analysen als auch über potentielle Verbesserungen der materiell-räumlich-sozialen Strukturen der UB zu diskutieren. Ein zentraler Schwerpunkt meines Vortrags „Wissensraum und Labyrinth“ war – wie könnte es anders sein – die Orientierung und Navigation in Bibliotheksräumen auf Makro-, Meso- und Mikro-Ebene. Passend dazu hat mich heute ein Link zu den Plänen der neuen Stadtbibliothek in Oslo erreicht. Und wen wunderts: Orientierung und Navigation sind auch hier zentrale Themen.
Die erste Ebene von Orientierung und Navigation (Makro-Ebene) bezieht sich auf den Zugang zur Bibliothek. Gerne zeige ich hier das Bild eines Wegweisers an der Universität Zürich, Standort Irchel. Und auch dieses Mal habe ich mich über Kommentare zu diesem Bild gefreut, z.B. dass der Wanderweg schon suggeriert: Es ist nicht einfach, sondern eher anstrengend, die Bibliothek zu erreichen. Der Weg dorthin will erwandert werden – sofern man gleich weiß, welchen Weg man einzuschlagen hat.
„Das funktionelle Problem bei der Platzierung von Haupteingängen ist einfach. Der Einfang muss so liegen, daß man ihn- oder irgendeinen Hinweis darauf, wo er sich befindet – zugleich mit dem Gebäude selbst sieht. […]Das Problem ist in zwei Stufen zu lösen. Erstens müssen die Haupteingänge richtig liegen, zweitens müssen sie so gestaltet sein, daß man sie deutlich sieht.“ (Alexander, Christopher, Sara Ishikawa, and Murray Silverstein. 1995. Eine Muster-Sprache. Städte Gebäude Konstruktion. Wien: Löcker Verlag. S. 583 f., Hervorhebung im Original)
Die zweite Ebene von Orientierung und Navigation (Meso-Ebene) bezieht sich auf die Orientierung im Gebäude. Und auch diese fällt nicht allen BesucherInnen leicht:
„[…] ich war irgendwie so okay wo muss ich jetzt hin ähm bis ich dann mal die Abteilung gefunden hab und dann, wenn man so einen Trampelpfad hat, dann geht’s auch gut.“ (Interviewausschnitt aus Interview KN4)
Man benötigt „Trampelpfade“, die man sich einrichtet, sobald man beginnt, sich die Bibliothek zu erlaufen. Hier kommt Oslo ins Spiel. Aftenposten veröffentlichte am 2. Juni online einen Artikel zur neuen Osloer Bibliothek (Nye Deichmanske Bibliotek). In der Bilderserie hat Bild 2 meine Aufmerksamkeit erregt: Neben dem Aufriss des Gebäudes befindet sich eine Beschriftung der Stockwerke und dort wird das Erdgeschoss als Etage der Navigation ausgeschrieben. Und an dieser Stelle setzte auch meine Diskussion mit der AG der Unibibliothek Konstanz an und Diskussionen mit anderen Bibliotheken: Der Eingangsbereich einer Bibliothek sollte zunächst der Orientierung dienen: Was ist wo, wo muss ich hin, wo geht’s wieder raus, wer hilft mir weiter? Dies trifft eigentlich auf jedes öffentliche Gebäude zu, wie es auch für jede Website zutrifft: auf der Startseite muss man erfahren können, was es alles gibt und wo es das gibt.
Kommen wir noch zur Mikro-Ebene, der dritten Ebene von Orientierung und Navigation: Das ist die detaillierteste Ebene, weil man hier nach dem einzelnen Medium (einem Buch, einer Ausgabe einer Tageszeitung, einem Video etc.) sucht. Dass hierfür eine gute Beschilderung der einzelnen Regale unerlässlich ist, sollte allgemein bekannt sein. Darüber hinaus spielen die Art der Aufstellung (nummerus currens vs. thematisch), das Klassifikationssystem (Dewey Decimal vs alpha numerische, intuitiv verstehbare Systeme wie in Konstanz) und Aufteilung und Aufstellung der Regale eine große Rolle.
Eine gute Mikro-Ebene kann in mancherlei Hinsicht Verirrungen auf anderen Ebenen wett machen:
„und es ist nach wie vor so dass die Bücher so aufgestellt sind, dass man Bücher findet die man nicht vorher gesucht hat aber die Sinn machen […] manchmal geht ma dann mit nem Sack heim obwohl ma nur eins wollte ” (Interviewausschnitt aus Interview KN4)
Diese Zufallsfunde, die beim Flanieren entlang der Regale gemacht werden, machen ja auch ein Stück weit den Reiz einer Bibliothek aus!
Das Bild von den Wegweisern der Uni-Bibliothek ist leider typisch und zeugt von Gedankenlosigkeit. Es werden einfach nur „Schilder“ aufgestellt und damit beginnt das Chaos. Allein die Tatsache, dass Google jetzt schon Indoor-Maps anbietet zeigt, wie wenig manche Gebäude und Außenanlagen an dem Punkt durchdacht sind. Wer jemals den Genuss hatte, ein echtes Orientierungssystem zu erleben, weiß, wie intelligent Schilder sein können. Dafür muss man aber auch Experten ans Werk lassen, die wissen, wie man aus einem dummen Schild ein schlaues Leitsystem macht.